Die Kunst des NeinSagens

von 14. Apr 2020

Nein zu sagen ist schon ein bisschen wichtig. Aber es ist eben auch ein bisschen schwer. Da es sich einfach viel besser anfühlt, Ja zu sagen, und das am liebsten immer, entsteht durch die Notwendigkeit eines Neins ganz natürlich ein Konflikt, der uns eine Chance zum Dazulernen und persönlicher Entwicklung eröffnet. Deshalb will ich hier meine Gedanken zu Kunst des NeinSagens teilen.

Im Artikel beschreibe ich neben dem Konflikt auch die gängigen Nein-Sage-Muster, die alle auf ihre Art mit diesem Konflikt umgehen. Obwohl sie so verbreitet sind, sind diese Arten eben leider allesamt verletzend, was sie in nahen persönlichen Beziehung sehr ungeeignet macht. Aber es ist meiner Meinung nach sehr wichtig zu verstehen, was das Verletzende daran ist, um eben die Zutaten herauszufinden, die ein wirksames und liebevolles Nein ausmachen.

Wie schaut also ein persönliches, augenblicksbezogenes Nein aus? Dieser Frage wollen wir nachgehen. Es wäre schön, wenn meine Ausführungen dir dabei helfen würden, deine ganz eigene Kunst des Neinsagens zu entwickeln, die dein Beziehungsleben erleichtert und bereichert. Lass uns anfangen.

Lesezeit: 25–30 Minuten

Bild: ich und Mike Powell on Unsplash

Die Notwendigkeit des NeinSagens

Einfach besser fühlen und glücklich sein – wie geht das, wenn ich schwer Nein sagen kann? Und ich glaube, dass geht nicht. Zumindest nicht sehr lange. Denn wie schon im letzten Artikel »Wie du dich verlierst?« thematisiert: wenn du immer nur Ja zu den anderen sagst, dann verlierst du dich und weißt nicht mehr, was für dich glücklich sein bedeutet.

So läßt du zu, dass dein Umfeld für dich entscheidet, was für dich besser fühlen und glücklich sein zu bedeuten hat. Und das kann auch mal gut sein, aber meist ist das nicht so vorteilhaft, einfach weil du einzigartig bist und dein eigenes Glück finden willst und nicht nur das der anderen.

Im Artikel wie im Video wird die aus meiner Sicht überlebensnotwendige Dringlichkeit deutlich, Nein zu andern zu sagen. Was ja nur bedeutet: Ja zu sagen, zu dir selbst!

Das NeinSagen – eine Herkules-Aufgabe.

Ich glaube: nichts ist schöner und eben auch natürlicher, als die Wünsche derer zu erfüllen, die wir lieben. Es ist einfach schön Ja zu sagen und die Wünsche zu erfüllen, die an uns herangetragen werden. Andere glücklich zu machen, ist nicht nur ein herrliches Vorhaben, es ist darüber hinaus auch ein instinktiver natürlicher Drang.

Deshalb gehört es aus meiner Sicht zu den schwersten Aufgaben im Leben, das Nein in der Liebe – wie Peter Schellenbaum in seinem gleichnamigen Buch es nennt, auszusprechen. Es fällt einfach ungemein schwer, nein zu sagen. Jedenfalls mir und vielen Patienten in meiner therapeutischen Praxis. Ich finde, es ist ein Herkules-Aufgabe.

Je näher mir die Person steht, desto schwieriger wird es, weil ich natürlicherweise Ja sagen will.

Und doch ist es notwendig, auch immer wieder Ja zu mir selbst zu sagen, um meine eigene Autonomie und Integrität zu bewahren.

In Liebesbeziehungen spüren wir dieses Schwierigkeit sehr deutlich und oft braucht es Jahre, bis wir lernen das richtige Maß zu finden an

  • Nähe – das Ja zum Partner
  • Distanz – das Nein zum Partner

Aber am intensivsten erleben wir diese Notwendigkeit in unseren Beziehungen zu unseren Kindern. Hier haben wir nicht viele Jahre Zeit, um das zu lernen. Denn unsere Kinder zwingen uns förmlich, so schnell wie möglich Nein sagen zu lernen. Auf eine nachdrückliche Art wie es keine Partnerin und kein Partner es jemals könnten.

Denn im alltäglichen Drama der unterschiedlichen Bedürfnissen spüren wir nicht nur, das es für uns wichtig wird, Nein sagen zu lernen, sondern dass es vor allem auch für unsere Kinder extrem wichtig wird, dass wir nein sagen lernen.

Die Art wie wir Nein sagen lernen, bestimmt nicht nur die Entwicklung unseren Kinder, sondern es bestimmt die Beziehungsqualität und den Ton des Zusammenlebens aller und darüber eben auch die Entwicklung aller.

Das Neinsagen und unser Unbehagen

Nun ist es nicht nur schwer, nein zu sagen, sondern es macht auch großes Unbehagen. Niemand fühlt sich wohl damit. Wie gesagt: es fühlt sich einfach natürlich und richtig an, Ja zu sagen. Nein zu sagen bereitet Unwohlsein.

Und für mich ist es entscheidend, dass wir einen bewussten Umgang mit diesem Unwohlsein finden, da alle verletzenden Neins, wie wir gleich sehen werden, aus einem unreflektierten Umgang mit dem Unbehagen entstehen.

Das höfliche Neinsagen in der Öffentlichkeit

Dem Unbehagen, das auftaucht, wenn wir Nein sagen müssen, begegnen viele von uns ganz automatisch mit Höflichkeit. Wir schwächen das Nein ab, machen es freundlich, versuchen das Wort Nein gar nicht erst in den Mund zu nehmen, und die Worte »ich will« schon gar nicht. Zumindest in der Öffentlichkeit. Und so entsteht ein »substanzloses Nein«, das schnell dahingesagt ist und bei dem wir nicht wirklich Stellung beziehen.

Und mit diesem »substanzloses Nein« kommen wir gut durch alle unverbindlichen gesellschaftlichen Kontakte, einfach weil dieses »substanzloses Nein« in der Öffentlichkeit aus Höflichkeit respektiert wird.

Die Unwirksamkeit des höflichen Neins

Unser Problem ist nur: je enger und näher die Beziehung wird, desto weniger funktioniert diese höfliche Art Nein zu sagen. Heißt: da, wo es wirklich wichtig wird, hilft uns dieses höfliche substanzlose Nein nicht weiter.

Am deutlichsten bekommen wir das als Eltern zu spüren, denn unsere Kinder reagieren kaum auf diese zahnlose Art des Neins. Für unsere Kinder spielen die Worte keine große Rolle. Das, was wir sagen ist nebensächlich. Wichtig ist, was wir meinen.

Sie brauchen Substanz hinter den Worten. Sie müssen spüren, welche Bedürfnisse sich damit verbinden. Sie müssen die Person wahrnehmen können, die Nein sagt. Sie wollen wissen, wer ihre Eltern sind, damit sie sich daran orientieren können.

All das will jede Person spüren, zu der wir Nein sagen. Denn genau das hilft, ein Nein zu akzeptieren und mit der Frustration, die ein Nein auslöst, umzugehen.

Es wird wichtig, dass wir uns genau daran erinnern, wenn wir uns später damit beschäftigen, wie die Kunst des NeinSagens praktiziert und kultiviert werden kann.

Die Zwickmühle, in die das substanzlose Nein führt

Nun haben wir also folgende Ausgangssituation: da gibt es also die »Großen«, die Erziehung schon hinter sich haben. Da Erziehung traditionell eher ein Prozess ist, bei dem wir den Kontakt zu uns und unseren Bedürfnissen mehr oder weniger verlieren und so werden, wie das Umfeld uns haben möchte – mehr oder weniger – wissen die »Großen« nur sehr bedingt, was sie wirklich meinen. Und ihnen gegenüber sind die »Kleinen«, die sich nicht dafür interessieren, was gesagt wird, sondern nur, was gemeint wird.

Da sagt also jemand Nein, der keine Ahnung hat, ob er das auch wirklich meint, zu jemandem, der sich nicht dafür interessiert, was gesagt wird, sondern nur dafür, was gemeint wird.

Oder einfach ausgedrückt: die Eltern sagen Nein und die Kinder hören nicht darauf.

Halten wir bis hierher fest

  • Nein sagen bereitet Unwohlsein.
  • Und ein substanzloses Nein wird um so unwirksamer, je näher und enger die Beziehung wird. In der sehr engen Beziehung zu unseren Kinder wird es gar einfach überhört.

Der kollektive Konflikt mit dem Nein sagen

Das führt zu folgendem Konflikt: du fühlst dich schon unwohl, wenn du Nein sagen musst, greift aus diesem Grunde zum höflichen, aber »substanzloses Nein«, das in den wichtigen Beziehungen deines Lebens nicht ernst gekommen oder gar überhört wird. Damit steigert sich dein Unwohlsein enorm, denn jetzt fühlst du dich auch noch verletzt, nicht respektiert, nicht gesehen. Und vieles mehr.

Da du mit diesen Erfahrungen nicht alleine bist, sondern fast alle in unsrem Kulturbereich, gestern wie heute, ähnliche schmerzliche Erfahrungen gemacht haben, entsteht aus diesem Schmerz ein scheinbares gesellschaftliche Wissen, wie mit diesem Konflikt umgegangen wird, wie wir also Nein zu sagen haben.

Daraus sind vier weitverbreitete Nein-Sage-Muster entstanden, die alle auf ihre Art versuchen, mit dem beschriebenen Konflikt umzugehen.

Wir werden diese Muster jetzt genauer betrachten. Einfach um deutlicher zu sehen, wie wir es nicht machen sollten und auf was wir genau achten müssen, damit ein persönliches gehaltvolles Nein entsteht kann.

Die Kunst des Neinsagens – Arten des Neins

1. Das autoritäre Nein – lieblos und verletzend

Fangen wir mit dem allgegenwärtige Prototypen den Neins an: dem autoritären Nein.

Dem großen Unbehagen, welches mit dem Neinsagen einhergehet, begegnet das autoritäre Nein mit Gefühlskälte. Damit die Gefühle und die persönliche Ebene aus dem Spiel genommen werden, wird dieses Nein institutionalisiert.

Es wird nicht in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen und Wünschen einer Person ausgesprochen, sondern an einer Position festgemacht.

Hierarchie und Macht, ersetzten Nähe und Liebe

Damit ist die Wirksamkeit des Neins ganz von der Wirksamkeit der Position abhängig. Und damit braucht dieses Nein ein Hierarchie- und Machtgefälle.

Das autoritäre Nein wirkt nur dann, wenn die Person, die es ausspricht, eine höhere Position inne hat, als die Person, die es zu hören bekommt. Und es wirkt auch nur dann, wenn die Person, die es zu hören bekommt, um die Konsequenzen fürchtet, wenn sie das Nein ignoriert.

Das bedeutet: die Wirksamkeit des autoritären Neins beruht einerseits auf einem Machtgefälle und andererseits auf der Angst vor der Bestrafung. All das wird durch meine Position definiert, die ich relativ zu der Person inne habe, zu der ich nein sagen muss.

Dieses Nein regelt unsere Gesellschaft. Und dort »draußen« in der Öffentlichkeit funktioniert es auch mehr oder weniger.

Wenn das substanzlose Nein an seine Grenzen stößt, weil Höflichkeit und Anstand nicht ausreichen, dann übernimmt das autoritäre Nein.

Allgemein gültige Bürokratie statt persönlicher Bezug.

Auf dem Katasteramt erwarten wir auch nichts anderes:

»Nein, weil das Formblatt DIN 34 nach der ISO 34xyz darauf Bezug nimmt. Halten Sie sich nicht daran, dann erfolgt eine Bußgeld aufgrund der Verordnung 34abc.«

In der Beamtenwelt, wie überhaupt im öffentlichen Raum, erwarte ich nicht unbedingt persönliche Nähe und Wärme. Scheinbar klare Regeln und Ordnungen sollen helfen das Gemeinwohl zu erhalten. Und so sind wir bereit, das autoritäre Nein dort zu akzeptieren.

So weit, so gut. Das Problem fängt jetzt an, dass wir das autoritäre Nein als Blaupause für das Neinsagen verstehen. Wir lassen es nicht in seiner hierarchischen Welt der Gesellschaft. Wir vertrauen auch in den persönlichen Beziehungen unserer Privatwelt auf dessen Wirksamkeit.

Das Verletzende des hierarchischen Neins

Jetzt wird die verletzende Art dieses autoritären Neins deutlich, denn in persönlichen Beziehungen geht es nämlich um Zuneigung und Liebe und nicht um Macht und hierarchische Positionen. Zumal die Positionen in einer persönlichen Beziehung durch persönliche Bedürfnisse definiert werden und nicht durch hierarchische Befugnisse.

Je persönlicher die Beziehung wird, desto unwohler fühlt es sich an, auf diese Art Nein zu sagen. Besonders spürbar wird dieses Unwohlsein, auf der schwierigsten, weil forderndsten Beziehungsebene: der zu unsern Kindern.

Fast alle Eltern fühlen sich unwohl damit, auf diese Art zu ihren Kindern Nein zu sagen. Aber da es scheinbar keine Alternative gibt und darüber hinaus einen gesellschaftlichen Konsens, das Kinder zu gehorchen haben, erscheint dieses autoritäre Nein als richtig und gut. Und deshalb nimmt man das Unwohlsein in kauf. »Es ist ja nur zu eurem besten.« sagt man zu sich selbst, um sich zu beruhigen.

Das autoritäre Nein als Blaupause für gute Erziehung

So ist das autoritäre Nein überall dort die Basis der Erziehung, wo Gehorsamkeit als Resultat guter Erziehung angesehen wird. Und so ist Erziehung zu einem Machtspiel mutiert, in dem die Eltern zusammenhalten im Kampf gegen die Kinder, die angeblich an die Macht wollen. Die letzten zweihundert Jahre war dieses Nein alternativlos.

Das autoritäre Nein hat jetzt nicht nur die Aufgabe der Abgrenzung, sondern auch die Aufgabe des Machterhalts. Wenn ich Nein sage, dann will ich darüber dem Bittsteller eben auch klar machen, dass ich eine höhere Position inne habe und ich will diese höher Position mit der Art des Neins stärken. Das erreiche ich darüber, dass ich den Grund für mein Nein oft im Fehlverhalten des Bittstellers festmache.

Das autoritäre Nein fördert Kälte und Einsamkeit

Hier wir auch ein wichtiger Punkt deutlich: der Grund für das autoritäre Nein liegt immer außerhalb der Person, die nein sagt. Entweder in gesellschaftlichen Regeln und Normen und oder im Fehlverhalten des Bittstellers.

»Papa, ich will nochmal ein Eis!«

»Nein, du bekommst kein Eis mehr. Man isst nur ein Eis.«

Der Grund für das Nein liegt hier in einer scheinbaren gesellschaftlichen Abmachung.

»Nein, du warst nicht artig!«

Hier liegt der Grund für das Nein im scheinbaren Fehlverhalten des Bittstellers.

Kein einziges Mal zeigt der Papa seine persönliche Meinung zum Eisessen. Der Grund für das Nein liegt eben nicht im Vater und seiner persönlichen Haltung zu der Menge, die verspeist werden soll. Er wäscht seine Hände in Unschuld und schiebt die Schuld auf eine Norm.»Was kann ich dafür, dass es diese ISO-Norm fürs Eisessen gibt?«

Das hinterläßt im Kind ein seltsames Gefühl: obwohl es nicht auf dem Katasteramt ist, fühlt es sich wie auf dem Katasteramt und sein Papa ist ein Vollzugsbeamter für eine Eis-Norm. Es fühlt sich alleingelassen und unterkühlt – was nicht am zu vielen Eis liegt.

Das autoritäre Nein fördert Schuldgefühle

Da es die Lust auf Eis nicht so leicht aufgeben will, wird es beim nächsten Mal wieder nach einer ordentlichen Menge an Eis fragen. Und das ist dann der Moment, in dem das Nein noch eine Zusatz bekommt:

»Nein! Ich habe dir doch schon gesagt, man isst immer nur ein Eis! Merk dir das und höre auf so unartige Fragen zu stellen!«

Hier wird noch so eine Eigenart des autoritären Neins deutlich: es wird gerne zwei Mal Schuld zugeschoben.

  • Zum einen hat das Kind Schuld, dass es so einen unerhörten Wunsch hat.
  • Und zum anderen hat das Kind Schuld, dass es das immer noch nicht weiß, dass es sich so nicht gehört. Die Zusatzfloskel, »wie oft muss ich dir das noch sagen«, die oft noch hinzugefügt wird bedeutet einfach: »Du bist nicht nur schuld, sondern darüberhinaus auch noch dumm!«

Damit eine so »dumme Frage« nicht noch einmal gestellt wird, muss ein klein wenig gedroht werden:

»Wenn du mich noch einmal zwingst, nein sagen zu müssen, gibt es überhaupt kein Eis mehr.«

Die Angst vor der Strafe

Wie gesagt: es braucht die Angst vor der Bestrafung. Da beim autoritären Nein nie der Respekt einer Person im Zentrum steht, sondern der Respekt vor einer Position und der Macht, die diese verleiht, steht eben auch immer die Angst vor der Konsequenz im Mittelpunkt, wenn es um die Wirksamkeit des autoritären Neins geht.

Die Verknüpfung des Neins mit der Angst vor der Strafe ist schon so tief in uns verwurzelt, dass für viele Menschen Bestrafung und Neinsagen fast identisch sind. Sie fühlen sich bestraft, wenn sie ein Nein zu hören bekommen, oder sie fühlen sich als diejenigen, die bestrafen, wenn sie ein Nein aussprechen müssen.

Das erhöht das natürliche Unwohlsein beim Neinsagen enorm. Weshalb es um so verlockender ist, den Grund für das Nein nach aussen zu schieben.

In allen unsern wichtigen persönlichen Beziehungen wird dieses autoritäre Nein sehr verletzend. Es wird zu einem lieblosen und kalten Nein.

Das autoritäre Nein ist verletzend, weil …

  1. Die Neinsagende Person interessiert sich nicht für meine Bedürfnisse.
    Ich bekomme nicht nur ein Nein (was nicht verletzend ist), sondern ich werde vor allem auch nicht gesehen (was verletzend ist).
  2. Mir wird die Schuld gegeben.
    Und das einfach nur, weil ich einen Wunsch äußere (was sehr verletzend ist) und damit mein Gegenüber zu einem Nein zwinge. Über die Zeit entsteht darüber in mir das Gefühl: meine Bedürfnisse sind nicht richtig. Also: ich bin nicht richtig (die Größte aller Verletzungen).
  3. Die Machtebene, welche das autoritäre Nein benötigt, verdrängt die Liebe.
    Und das führt meist dazu, dass nicht nur die Art des Nein verletzten ist (autoritäres Nein), sondern darüber hinaus auch der Ton (aggressiv und meist demütigend), mit dem dieses Nein ausgesprochen wird.
  4. Mein Gegenüber geht aus dem Kontakt.
    Sobald die hierarchische Position übernimmt und die persönliche Haltung aus dem Spiel genommen wird, werde ich verlassen. Das autoritäre Nein macht alle einsam und es entsteht immer mehr Kälte und Distanz zwischen allen.
  5. Die Angst vor der Strafe ersetzt mit der Zeit den natürlichen Respekt vor der Person.
    Immer wenn Strafe ein Nein wirksam machen soll, sagt die strafende Person: »Ich habe es aufgegeben, dass du mich respektierst. Deshalb vertraue ich jetzt auf ein Drittes, das fortan zwischen uns ist: die Angst vor der Bestrafung. Ich baue darauf, dass du aus Angst vor der Strafe mein Nein respektierst.«
    Damit bestimmt die Angst das grundsätzliche Klima der Beziehung und nicht die Liebe. Es wird immer kälter und einsamer. Und: es wird völlig übersehen, dass ich die Person freiwillig respektieren möchte! Warum? Weil ich sie liebe. (Und das ist sehr verletzend).

Wie sehr die hierarchische Position beim autoritären Nein im Vordergrund ist, anstatt der Person, die Nein sagt, zeigt sich auch darin, dass die neinsagende Person oft in dritter Person von sich selbst spricht. »Dein Vater sagt dir: nein!«

Gerade diese Stilblüte aus verstaubt-vergangen geglaubter Tage zeigt sich in der Erziehungswelt wieder häufiger. Auch wenn es sehr verniedlicht daherkommt: »Dein Papi will, dass du …«, schafft es trotzdem Distanz und Kälte.

Grundsätzlich gilt: je diktatorischer ein System wird, desto mehr tritt die Funktion und die Macht einer Position in den Vordergrund und die Person in den Hintergrund. Eben auch in der Frage, ob wir heute Abend noch Sex haben?

2. die anti-autoritären Folge-Generation: das kategorische Nein zum Nein

Da sich damit sehr viele unwohl fühlten, kam es zu einer kleinen Neinsage-Kultur-Revulotion. Es kamen die 68er. Die selbst hatten ihre Erfahrungen mit der verletzenden Art des autoritären Neins gemach und viele Wunden erlitten. Gleichzeitig erlebten sie nun aber selbst die Not, dem Unbehagen ausgeliefert zu sein, Nein sagen zu müssen. Ihre Lösung: das Gegenteil. Die anti-autoritäre Erziehung hatte ein kategorisches Nein zum Nein. Es wird einfach immer Ja gesagt.

Interessanter Weise ist das ähnlich verletzend. Denn als Bittsteller bleib ich auch hier einsam. Immer noch interessiert sich niemand für meine Bedürfnisse, niemand bezieht Stellung und verrät seine Haltung zu meine Bedürfnissen. Es entsteht keine wirkliche Beziehung.

Ich bekomme immer nur das, was ich scheinbar will, aber nicht das, was ich unbedingt brauche: liebevollen Kontakt.

Ausserdem wurde schnell deutlich, dass es ohne Nein eben auch nicht funktioniert. Die Diktatur der Neinsage-Kultur wurde ersetzt durch die Demokratie.

So lange es geht, wird einfach immer Ja gesagt. Und in den Momenten in denen ein Nein notwendig wurde, musste diese Nein erklärt werden. Das demokratische Nein braucht Erklärung und Rechtfertigung. Und so entstand in persönlichen Beziehungen die dritte Form des Nein: das verantwortungslose Nein.

3. verunsicherte Eltern-Generation: das verantwortungslose Nein

Das verantwortungslose Nein schämt sich, ausgesprochen zu werden, auch wenn es dringend notwendig wäre – und wird deshalb mit Erklärungen und Entschuldigungen wieder aufgeweicht. Meist werden Versprechungen (also spätere Ja´s) mit dem Nein verknüpft, um dem Unwohlsein zu entfliehen.

»Papa, liest du mir jetzt eine Geschichte vor?«

  • »Oh, … Papi ist jetzt sehr müde, das musst du doch verstehen, vielleicht später, ja mein Schatz«
    Das nein wird meist gar nicht in den Mund genommen, sondern irgend wie umschifft.
  • »Nein mein Goldlöckchen, jetzt kann ich leider, leider nicht mit dir spielen, bitte sei nicht böse, aber nachher kauf ich dir ein Eis – ja!«
    Hier versucht man sich freizukaufen von seiner Schuld, nein zu sagen.

Die Wirksamkeit des verantwortungslosen Neins braucht das Ja des Gegenübers

Aber das Schlimmste an dieser Form der Neinsagens ist, dass die Wirksamkeit des Neins davon anhängt, dass das Gegenüber zu diesem Nein Ja sagen muss. Als Neinsagende Person bin ich abhängig vom Einverstanden sein meines Gegenübers mit meinem Nein.

Und damit wird die Verantwortung für das Nein dem Bittsteller zugeschoben. Erst durch sein Einverstanden sein, sein Verstehen, sein Ja zum Nein wird das verantwortungslose, demokratische Nein wirksam.

Und das überfordert die Person, die eine Wunsch äußert enorm. Denn sie muss jetzt nicht nur mit der Frustration klar kommen, die ein nein natürlicher Weise auslöst, sondern sie muss darüber hinaus auch noch ein Verständnis haben. Wie soll das gehen?

Kinder werden so in die Führungsrolle gedrängt

Vor allem für Kinder ist das Gift: denn plötzlich wird ihnen die Verantwortung für das Wohlbefinden ihrer Eltern untergejubelt. Sie müssen das Nein absegnen und Ja dazu sagen, damit es wirksam wird und darüber wird ihnen die Führungsrolle im Beziehungs-Geschehen zugeschoben.

Zudem wird ihnen die Schuld gegeben, wenn sie das nicht verstehen. Und bevor sie es verstehen können (was sie nicht müssen) kommt als erste völlig normale Reaktion Frustration mit Wut und Traurigkeit (siehe »Das tabuisierte Gefühl – Wut«).

Die Kinder sagen zu sich selbst: »Ich verstehe es ganz und gar nicht. Ich bin frustriert und wütend und möchte am liebsten Schreien. Aber scheinbar sollte ich es verstehen. Dann muss was mit mir nicht in Ordnung sein. Ich bin Schuld.«

Der Thron der autoritären Erziehung bleibt mit dem verantwortungslosen Nein im Haus, nur sitzt jetzt das Kind darauf und fühlt sich einsam und schlecht dabei – es leidet unter der Führungsrolle die ihm aufgebürdet wurde.

4. Die Vermischung der Neins

In den allermeisten Fällen vermischen sich diese drei Arten des Neins. Meist geht es

  1. über das zu viel Ja zu sagen über in den Versuch
  2. »im Guten« nein zu sagen und endet dann
  3. im lieblosen, verletzenden Nein.

Kind: »Papi, kannst mit mir spielen?«

Vater: »Nein mein Goldlöckchen, jetzt kann ich leider, leider nicht mit dir spielen, bitte sei nicht böse, aber nachher kauf ich dir ein Eis – ja!«

Kind: »Ich will aber jetzt mit dir spielen und das Eis will ich trotzdem.«

Vater: »Ich, ich ich. Immer geht es um dich. Versteh doch ich kann jetzt nicht.«

Kind: »Du bist ein blöder Papi.«

Vater: »Jetzt reichts mir aber. Nein habe ich gesagt, und damit basta. Und später gibt auch kein Eis, weil du so böse bist.«

Es endet fast immer im lieblosen, verletzenden Nein.

Zusammenfassung der verletzenden Neins

Alle drei Formen des Nein-Sagens sind sehr destruktiv für Beziehungen. Alle drei Formen führen immer zur Kälte.

Kinder die das verletzende Nein zu spüren bekommen werden später kalt und ebenfalls verletzend und destruktiv: entweder zu anderen oder zu sich selbst.

Kinder, die kein Nein oder das verantwortungslose Nein zu hören bekommen, werden später ebenfalls kalt, immer tyrannisch und egozentrisch und manchmal hyperaktiv. Sie werden auch verletzend, da das kein Nein auch immer verletzend ist.

So sollten wir also nicht allzuoft Nein sagen. Die Kunst des Neinsagens besteht jetzt darin, der Verlockung, diesen breiten Pfaden, denen fast alle folgen, zu widerstehen.

Es muss einen anderen Weg geben, dem Unbehagen zu begegnen, welches immer entsteht, wenn ich Nein sagen muss. Es muss einen verantwortlichen Umgang damit geben.

Und diesen Umgang finden wir im »persönlichen, situationsbezogenen Nein«. Im sogenannten »authentischen Nein« liegt liegt der Schlüssel für die Kunst des Neinsagens.

Schauen wir uns jetzt also an, welche Zutaten es braucht, damit ein Nein nicht nur wirksam ist, sonder vor allem liebevoll und nicht verletzend.

Das persönliche situationsbezogene Nein

Zutat Nummer 1 – das Ja zu deinem Bedürfnis

Die erste wichtige Komponente für ein wirkungsvolles Nein ist: es gibt nur ein Ja. Und zwar das Ja zu deinen Bedürfnissen. Für dich gibt es nur das Ja zu dem, was du willst.

Durch den Wunsch deines Gegenübers kannst du herausfinden, welches Bedürfnis du hast. Jetzt kannst du dich in Beziehung setzen. Und das bedeutet: du kannst herausfinden, wer du in diesem Punkt bist oder sein willst.

Das ist der Sinn von Beziehungen: durch mein Gegenüber finde ich heraus, wer ich bin und seinen will.

Auch wenn es also der Wunsch meines Gegenübers ist, der an mich herantragen wird, entdecke ich darüber, was mein eigener Wunsch ist – zu dieser Thematik.

Jetzt erst entsteht Beziehung. Denn erst jetzt beziehen wir unsere Bedürfnisse aufeinander.

Und dem kann und darf ich mich um so weniger entziehen, je näher und liebevoller die persönliche Beziehung wird. Mache ich das trotzdem, indem ich als unpersönliches ausführendes Organ auftrete – »die Rolle Vater« (das autoritäre Nein) – gehe ich aus der Beziehung und verletze mein Gegenüber. Es fühlt sich allein gelassen und meist gedemütigt, da die Liebe mit der es mir begegnet von mir durch Macht ersetzt wird.

Es gibt nur das Ja zu deinem Bedürfnis. Und durch den Wunsch einer anderen Person kannst du herausfinden, welches Bedürfnis du hast, um dazu Ja zu sagen.

Das Nein ist nur eine Kommunikation-Floskel

Da wir uns aus Höflichkeit meist zuerst auf den Wunsch unseres Gegenübers beziehen, müssen wir das Wort »Nein« benutzen. Aber auch wenn du kommunikationstechnisch das Wort »Nein« an die Person richtest, deren Wunsch du nicht erfüllen kannst oder willst, so gibt es für dich nur das Ja, zu dem, was dir wichtig ist. Und nur über dieses Ja bist du für die andere Person wahrnehmbar. Das Wort »Nein« hilft ihr nicht, aber das Ja zu dem, was du willst, das hilft, weil du darüber spürbar wirst.

Es ist also nicht so wichtig, ob du nun das Wort »Nein« benutzt oder nicht. Wichtig ist vielmehr, dass du dein inneres Ja zu deinem Bedürfnis im Bewusstsein hast.

»Papa, ließt du mir eine Geschichte vor?«

»Nein, mein Schatz, ich will gerade die Zeitung lesen!«

Oder »Nein, jetzt nicht!« und das Ja zur Zeitung ist klar im Bewusstsein.

»Papa, kann ich noch ein Eis haben?«

»Nein, mein, Schatz, ich will nicht so viel Geld ausgeben!«

»Na, mein liebster, ich hätte jetzt Lust auf Sex! Wollen wir?«

»Nein, meine Liebste, jetzt will ich lieber … äh was? Ja, gerne!«

Das ist die Basis eines jeden persönlichen Neins: es zeigt vor allem mir selbst, was ich will. Und damit kann ich eine Position einnehmen bezüglich des Wunsches der anderen Person.

Jetzt erst können wir in Beziehung treten, weil ich mich auf den Wunsch persönlich beziehe. Und darüber wird klar wie die beiden Bedürfnisse zusammen passen oder nicht. Ob ich dem Wunsch meines Gegenübers entsprechen kann (Ja) oder nicht (Nein).

Zutat Nummer 2: »Ich sehe dich«

Aus meiner therapeutischen Sicht gibt es nur eine Verletzung: ein nicht gesehenes Bedürfnis. Die sich verletzt fühlende Person wird das so sagen: »Ich fühle mich nicht gesehen«.

Und genau das ist eine existentielle Notwenigkeit im Beziehungsleben: gesehen zu werden.

Gesehen zu werden bedeutet: mein Gegenüber sieht nicht nur meine Wünsche und Bedürfnisse, sondern erkennt sie auch an, ohne sie zu bewerten.

Bedürfnisse sind ja weder gut noch schlecht, sie sind einfach. Und deshalb ist es für uns immer sehr verletzend, wenn wir erleben, wie unsere Bedürfnisse bewertet werden – auch positiv, aber natürlich vor allem negativ.

Ein Bedürfnis ist und deshalb muss es angenommen werden – wertfrei.

Sicherlich gibt es verschiedene Ebnen, für die ein Bedürfnis steht. Das jetzt hier oft herangezogene Beispiel von der »großen Lust auf Eis« kann vieles bedeuten. Von der tatsächlich sinnlichen Freude am Eis, der großen sinnlichen Freude an der Fülle über einen großen ungestillten Hunger an Liebe der mit Eis kompensiert wird, mag das vieles sein.

Und natürlich stellt sich die Frage, ob die fünf Portionen Eis die beste Erfüllung des Bedürfnisses ist? Aber unabhängig von oberflächlicheren und tieferen Entsprechungen steht das verbalisierte Bedürfnis immer als Botschafter für die Person, die es in dem Augenblick ausspricht. Und dieser Botschafter will gesehen werden und nicht bewertet.

Und genau das ist meine primäre Aufgabe, wenn ich mit einem Wunsch konfrontiert werden.

Inwieweit ich dann auch noch erkennen kann, was in der Tiefe eigentlich gewollt wird, zeigt eben noch meine Beziehungskompetenz. Aber das ist nur zweitrangig, da es zu aller erst darum geht, dass Bedürfnis (für was es auch immer stehen mag) wertfrei stehen zu lassen.

Auch Verständnis ist notwendig. Natürlich schafft Verständnis mehr Nähe und ist sehr hilfreich, wenn es später darum geht, mit dem Konflikt unterschiedlicher Bedürfnisse umzugehen. Aber um mich gesehen zu fühlen, brauche ich erstmal kein Verständnis.

Oft können wir bestimmte Wünsche auch nicht verstehen, weil wir eben auch sehr unterschiedlich sind. Und trotzdem kann ich sagen: »Ich sehe dich mit deinem Wunsch. Auch wenn ich das nicht verstehen kann, ist es völlig in Ordnung diesen Wunsch zu haben.«

In persönlichen, nahen Beziehungen dürfen wir lernen, ja zu sagen, zu dem Ja, das der Bittsteller zu seinem Bedürfnis hat, auch wenn wir dann zum eigentlichen Bedürfnis Nein sagen.

Und es ist ja auch klar: all das fällt uns um so leichter, je leichter und selbstverständlicher es uns fällt, zu unseren eigenen Bedürfnissen Ja zu sagen.

Zutat Nummer 3 – Ja zur Frustration

Und das führt uns zu einem wichtigen Punkt: ein nichterfüllter Wunsch ist nicht verletzend – nur ein nicht gesehener.

Das bedeutet fürs Neinsagen: wenn ich den Wunsch nicht erfüllen kann oder will, ist das nicht verletzend. Es ist enttäuschend, aber nicht verletzend. Das ist ganz wichtig zu differenzieren.

Ein nicht erfülltes Bedürfnis führt zu Frustration. Und für uns alle ist es sehr hilfreich, einen guten Umgang mit Frustration zu erlernen. Je besser wir das können, desto einfacher wird das mit dem »einfach besser fühlen« auch dann, wenn wir selbst ein Nein zu hören bekommen. Und desto leichter wird es uns fallen, selbst Nein zu sagen, weil wir aus eigener Erfahrung wissen, dass die Frustration dazugehört und jeder seinen eigenen Umgang damit finden muss.

Und diese Erkenntnis ist sehr wertvoll. Denn zur Kunst des Neinsagens gehört, die Fähigkeit, die Frustration, die ein nicht erfüllter Wunsch mit sich bringt, auszuhalten und nicht persönlich zu nehmen.

Das ist sehr wichtig. Denn der Umgang mit Frustration ist ein sehr persönlicher Prozess und hat nichts mehr mit dir als neinsagende Person zu tun. Hier darfst du dich auch nicht einmischen.

Und auf jeden Fall darfst du hier auch nichts bewerten. Ob die Reaktion auf einen nicht erfüllten Wunsch angemessen ist, oder nicht, hast du nicht zu entscheiden, sondern einzig die Person, deren Wunsch nicht erfüllt wurde. (Solange sich die Reaktion im Rahmen des sozialen Miteinanders bewegt.)

Zu unangemessen Reaktionen kommt es häufig, weil die enttäuschte Person sich viel zu oft als bewertet erlebt hat mit ihren Wünschen.

Kind: »Papa, darf ich sieben Kugeln Eis?«

Papa: »Spinnst du. Du kannst zwei und keine Kugel mehr. Was glaubst du denn, wer du bist. Hast du eine Ahnung, dass es Kinder auf der Welt gibt, die verhungern?«

Hier wird deutlich, welch starker Bewertung das Kind ausgesetzt ist. Der Wunsch war nicht richtig. Also ist das Kind nicht richtig. Jetzt mischen sich Frustration und Verletzung.

Kind: Weinen. »Nie bekomme ich irgendwas.« Wütendes Stampfen: »Du bist blöd!«

Papa: »Jetzt reicht es aber. Erst so einen unmöglich Wunsch und jetzt auch noch frech werden. Das geht ja gar nicht. Die nächsten zwei Wochen gibt es gar kein Eis mehr!«

Solch ein Umgang mit Wünschen schafft einen Nährboden, auf dem sich leicht kleine Tyrannen entwickeln, die sich unbeherrschbar hysterisch schreiend auf den Boden schmeißen, wenn ein Wunsch nicht erfüllt wird, oder es geht in die leise Richtung mit pflegeleichten Kindern – äußerlich artig und brav, aber voller Scham und Schuldgefühlen.

Beide haben viel zu oft erlebt, dass nicht nur ihre Wünsche bewertet wurden, sondern auch ihre Frustration, wenn ein scheinbar unangebrachter Wunsch nicht erfüllt wird.

Im Artikel »unerfüllte Wünsche und Schuldgefühle« gehe ich darauf ein, wie tief diese Schuld und Schamgefühle in uns stecken, wenn wir erleben, dass ein Wunsch nicht erfüllt wird. Wir haben viel zu oft erlebt, wie unsere Wünsche bewertet wurden, sodass wir den Fehler sofort in uns suchen und uns als falsch empfinden, wenn sich ein Wunsch nicht erfüllt.

Wie der Umgang mit Frustration aussehen kann, werde ich in einem anderen Artikel nochmal genauer bespreche werden. In dem Artikel »Wut – das tabuisierte Gefühl« ist es schon angerissen.

Wie schaut so ein Umgang mit der Frustration deines Gegenübers aus, wenn du Nein sagen musst?

»Papa, liest du mir eine Geschichte vor?«

»Nein, mein Liebes, ich möchte gerade Zeitung lesen.«

»Aber Papa!!! Ich will die Geschichte hören, wirklich. Bitte. Lese doch die Zeitung später!«

»Ich glaub dir, dass du das ganz wirklich und unbedingt willst. Ich will aber gerade ganz wirklich und unbedingt die Zeitung lesen – jetzt.«

»Manno, blöder Papa.«

»Ja, so ist es jetzt eben.«

Hier trägt der Erwachsene die volle Verantwortung. Er macht keine Schuldgefühle, er steht zu seinem Wort. Er übernimmt die Verantwortung für sein Wohlergehen. Und hält die frustrierte Reaktion des Kindes aus – weil sie dazugehört – ohne das Kind zu verletzten und zu beleidigen.

Freilich gilt das nicht nur für Eltern. Das persönliche Nein ist die Art des Neins, die eben die wirksame Substanz hat, um gehört zu werden und dabei das Gegenüber nicht verletzt – egal wer das Gegenüber ist.

»Ich habe Lust auf Sex. Wollen wir?«

»Oh, äh … nein. Tut mir leid. Ich habe heute keine Lust!«

»Oh manno. Das ist aber Schade!«

»Ja, das ist es.«

Eigentlich ist es ganz einfach.

Die Kunst des NeinSagens liegt im Ja!

Du siehst. Die Kunst des NeinSagens ist eigentlich die Kunst des JaSagens.

  1. Dein Ja zu deinem Bedürfnis.
  2. Dein Ja zum Bedürfnis des Gegenübers.
  3. Dein Ja zu allem, was dein Nein auslöst, falls die Jas unterschiedlich sind.

Damit bist du persönlich anwesend und spürbar – authentisch wird das gerne genannt. Es herrscht Nähe und Verbindlichkeit, Respekt und Verantwortlichkeit. Es bleibt herzlich und warm, alle werde mit Würde behandelt – auch dann, wenn ein Nein ausgesprochen wird. Und diese persönliche Nein ist dann eben auch wirksam.

Siehst du den Mut, schenkst du Respekt

Es braucht immer viel Mut, sich zu zeigen. Herauszufinden, was du willst, ist schon eine große Sache. Dich dann aber auch noch mit deinem Wunsch einer anderen Person gegenüber zu offenbaren, ist mindestens ein genauso großer Schritt.

Gelingt es, auch dieser Prozess, diesen Mut zu sehen, dann fühlt sich das Gegenüber nicht nur gesehen, sondern auch respektiert und würdevoll behandelt.

Wenn dein Nein nicht akzeptiert wird.

Abschließend will ich dich nochmals an die Basis einer persönlichen, liebevollen Beziehung erinnern: unser Gegenüber will unser Nein akzeptieren. Es will JaSagen zu unserm Nein. (siehe Teil 1 und Teil 2).

Wenn es nicht so einfach Ja dazusagen kann, also unser Nein nicht akzeptiert, dann nur

  • weil es wirklich, wirklich wichtig ist, dass das eigene Bedürfnis erfüllt wird.
  • weil es viel zu viele Neins einfach so akzeptiert hat und jetzt nicht mehr kann.
  • weil damit die eigene Integrität gefährdet ist.
  • oder weil die Art wie wir nein sagen, verletzend ist.
  • oder weil die Art wie wir nein sagen, wirkungslos ist, also nicht als ein Nein wahrgenommen wird.

Wenn du das im Hinterkopf hast, dann fühlst du dich selbst nicht so schnell angegriffen, wenn dein Nein bei deinen Liebsten keine Wirkung zeigt. Aus meinen persönlichen Erfahrung kann ich sagen: meist reagiert keiner auf mein Nein, weil ich die Art wie ich es gesagt habe, wirkungslos war und es eher aus einem automatischen Antwortreflex folgte – oder weil die Art verletzend war.

In Beziehungen, in denen Liebe die Basis ist, wollen wir immer auch das wollen, was die anderen auch wollen. Das Wollen ist da. Das auch zu Können ist eine andere Sache. Denn auch wenn wir zu Zugehörigkeit brauchen, wollen wir unser Einzigartigkeit bewahren.

Niemand sagt Nein, einfach so. Und niemand ignoriert das Nein einfach so. Das alles geschieht in dem Spannungsfeld von Zugehörigkeit und Einzigartigkeit, in dem wir unsern Weg finden. Das so zu sehen, hilft meiner Meinung nach sehr im Umgang mit der Kunst des Neinsagens.

All diese Aspekte stecken sowohl in deinen Jas und deinen Neins. Hoffentlich erleichtern dir diese Hintergründe deinen persönlichen Umgang zu finden mit der Kunst des Neinsagen.

Mach es einfach. Mach es jetzt.

Michael Antoni

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